Einführung zum Katalog "Fritz Straßner Landschaft - Figur"
(1991)
von Prof. Klaus Kowalski
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Landschaft und Figur - Serien von Bildern mit diesen zwei Motiven
erarbeitet und in Farbe gesetzt von Fritz Straßner, der derzeit als
Professor der Kunstpädagogik in Ludwigsburg bei Stuttgart lehrt und
arbeitet. Dort auch, am Hang des Neckartals hat er sein Atelier. Aus dem
Fenster sieht man den gegenüberliegenden Prallhang des Neckars, der
sich durch Kalkgestein hindurchwindet, die sichere Lagerung der
Schichten, den festen Bau der Steinlagen, durchwirkt von den wie im
Kontrast stehenden Bäumen und Weinhängen. Es bietet sich geradezu an,
die Erinnerung an diesen Ausblick also gleich im Bildbau der hier
gezeigten Motive wieder zu erkennen und damit zu erklären,
Ähnlichkeiten zu markieren, Beziehungen zu konstruieren. Doch das Werk
ist vielschichtiger, als der unmittelbare Zugriff vermuten läßt.
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Fritz Straßner, 1936 im Cottbus geboren die Malerei
an der Akademie in Hamburg bei Willem Grimm studiert. Doch schon das
Elternhaus hat in dieser Richtung prägend auf ihn gewirkt, denn beide
Eltern, der jüngst verstorbene Ernst Straßner, dessen aufleuchtend
sensibel gemalt späten Bilder hier im letzten Jahr ausgestellt waren,
und seine Frau Magdalena malten. So kommt Fritz Straßner aus einem
Ambiente, was man eher stillen und scheuen Mann nicht sogleich ansieht.
Statt dessen wir man im Gespräch einer hohen, reflektiven
Bewußtheit mit einem guten Schuß Ironie gewahr, die sicher schon in
der Jugend angelegt, durch ein Studium der Literaturwissenschaft nur
noch verstärkt werden konnte. Aus beidem vielleicht bildete sich im
Bereich heutiger Aktionskünstler selten gewordene Intensität des
künstlerischen Arbeitens, die seinen Bildern, gleich ob Figur oder
Landschaft, neben der durchgehend farbigen Grundauffassung etwas
Lagerndes und Gebautes gibt, das mich zu Anfang so sehr an die
Strukturen der Jurandlandschaft rund um Stuttgart hat denken lassen.
Dies hier hat nichts Leicht- Fertiges. Alles ist bestimmt durch einen
langsamen Werdegang der Werke, bis sie zu einer zweiten, sensibler
begriffene Bilderwelt geworden sind.
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Der Künstler Fritz Straßner fußt auf alten
Maltraditionen. Er verfolgt diese durch Auswahl, Betonung und
Weiterentwicklung einzelner Komponenten auf seine Weise und mit stetiger
Konsequenz. Er bindet die tektonischen Farbformgefüge der Konstruktiven
seit Cézanne an die Farbinsensität nordischer Expression - bis sich
beides zu einem Ganzen, dem Bild als Farbbau und Farbereignis steigert.
Malgrund und Motiv, Farbflecken und Farbformen sind so zueinander
gefügt, daß Grund und Figur, gemeinte Form und durch sie definierte
Restformen, Farbmodulierungen und Formmodellierungen zu einem groß
gesehenen Farbklangereignis verschmolzen sind. Nichts geht dabei
verloren: der Kontakt zur Natur bleibt immer unmittelbar. Das Motiv
vertieft sich durch die harte, langwierige Malarbeit im mehrere, fast
abstrakte Schichten, die den Bildern den schwebenden Zauber des Ideellen
auch dort verleihen, wo der Maler sich bewußt unansehnlicher Orte
dieser Erde annimmt.
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Das allgemein Gesagte zeigt z.B. die Bildreihe 'Watt
auf Eiderstedt vormittags/mittags/nachmittags, 1984, Kat.-Nr. 6,7,8.
Hier läßt sich besonders gut nacherleben, wie sich kaum zu
unterscheidende Landschaftszuständlichkeiten unter dem Zugriff des
Malers ins Wesenhafte steigern. Von einer vormittäglichen Kühle der
klar gegeneinander gesetzten Farbtöne wird die Bildfarbigkeit über die
warmfarbene Tiefe aus sich selbst hervorglühender Farbkonglumerate am
Mittag, schließlich zu den in nachmittäglicher Lichtbrechung trüber
gewordenen Farben. Dort, wo am Morgen noch blauer Einklang herrschte,
trifft sich nun der gläsern gewordene Himmel mit der spiegelartig hart
gewordenen Wasserfläche, als sei beides der Urgrund, auf dem die
bröckelnde Erdkruste sich mühsam behauptet.
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Die geringsten Farbveränderungen der Tagesstimmungen
werden sensibel aufgefaßt, gesteigert und in die Wirksamkeit der Farbe
selbst übersetzt. Sie dient nicht mehr der Form des Gegenstandes - und
doch bietet sie dem Betrachter auch Formen: als schaffe der Tag selbst
sich zunehmend differenzierte Farbformen, ist der Morgen noch
unbestimmt, fast grob und großflächig gemalt, der Nachmittag hingegen
von äußerster, fast schon splitternder Differenziertheit und
Kleinteiligkeit, die vorne rechts von den alles verschlingenden
Wasserflächen bedroht wird. Es sind also nicht nur der Farbklang, nicht
nur die Farbrichtung, nicht nur Qualitäts- und
Quantitätsveränderungen der Farbtöne, die eine solche Verbildlichung
auf der Leinwand vermitteln, es ist auch die Anordnung der Teile auf der
Gesamtfläche, deren Abgewogenheit zur Verlebendigung bestimmter
Augenblicke im Durchlaufen des Tages durch das Farbenspektrum die
Bildwirkung ausmachen. Auch jetzt ist das Geflecht kompositorischen
Kalküls noch nicht vollständig. Jeder gute Künstler schafft sich eine
eigene Einstellung zu Verwirklichungstechnik, um sein Vorhaben adäquat
angehen zu können. So entspricht der feinsinnigen Farbaufassung Fritz
Straßners eine reiche Palette von vielschichtig ineinander verwobenen
Farbauftragtechniken. Das was aus der Ferne wie 'altmeisterlich gemalt'
ausschaut, wird in der Nähe zu einem Ineinander von flächig
gespachtelter, pastos reliefhaft aufgetragener, nervöser gestupfter,
breit gestrichener oder auch nur mit der Pinselspitze leicht taschierter
Farbe, die an manchen Stellen überdies noch über die Dekalkomanie gewonnenen Reliefiertheit, mit dem Pinselstil eingravierte Linien und
mit dem Tubenmund aufgesetzte Farbperlen aufweist: was für ein Reichtum
an Farb-, Form- und Oberflächenwerten!
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Langsam ist einsichtig, daß all dies sich nicht wie
aus einem Schwung des Augenblicks zaubern läßt, daß harte Arbeit,
waches Kalkül und Geistesgegenwart im Malprozesses diesen Maler zu
einem langsamen und bedächtigen Vorgehen zwingen. So sind Straßners
Bilder keine leicht fertigen Produkte emotionaler Aufwallung und bieten
weder das sich anbietende 'Schöne' noch die vordergründig aufgesetzt
Gesellschafts- und Daseinskritik. Wer die Farbspuren des Malers als
Psychogramm des Schaffensvorgangs liest, kann aus allen hier
ausgestellten Werken das in harter, gedanklicher Arbeit langsam
Aufgeschichtete als seelisch Gewichtetes empfinden, in dem ein
schwermütiger Grundklang trotz eines aktionistisch anmutenden
Farbvorgang nicht zu verbergen ist.
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Der Anteil an Emotionalem im Werk Fritz Straßners
läßt sich eher aus einem noch skizzenhaft gebliebenen Werk herauslesen,
wie z.B. bei dem Blatt 'Wildbach bei Steibis', 1989, (Kat.-Nr. 23). Die
groß gesehene Komposition mit den zwei liegenden, die stürzenden
Wasser einfassenden Baumstämmen, die nach rechts einen spitzen
Winkelbilden, sie stellen die klar erfaßte kompositorische Geste des
Bildes sicher. Dazwischen, plötzlich nach links abbiegend weil durch
Erdbarrieren gehindert, in die Winkelöffnung hinein fließt das
Schaumweiß des Wildwassers. Fest dagegen gestellt sind die
ockerfarbigen Flächen der Widerstand gebenden Steine. Das alles ist
erster Zugriff. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Die vom
rhythmischen Tosen des Bachs in zackigen Spuren gelenkte Hand fährt mit
Wachsmalstiften erregt über die ersten Farbflächenangaben in Lila,
Grün und Rot, wodurch sie begrenzt werden und der Prozess des
Ausdeutens seinen Anfang nimmt. So der Beginn, nicht das Ende einer
Arbeit vor dem Motiv!
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Die Leidenschaft, die sich dem Auge bietende schöne
Oberfläche der Dinge zu durchdringen, um eine der Malfläche
angemessene Ordnung des Dinglichen durch die Farben, ihre Gewichte und
Richtungen aufzudecken - dieses Anliegen des Malers kann besonders an
den figürlichen Darstellungen erfolgt werden.
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Die 'Figürliche Studie, Variation III', 1983,
Kat.-Nr. 8 - als Einzelfigur aus dem Zusammenhang des Blattes '3
Variationen Figur', 1982, Kat.-Nr. 1 herausgelöst - läßt aus dem
Linienfluß des Körpers und den sich rundenden Teilformen unter
Einwirkung von Licht, Grundfläche und Farbbeurteilung einen sich
langsam verselbständigen Bau von Farbkuben entstehen. Als habe der
Maler für das Blatt, die Technik des Siebdrucks und sein Vorgehen
eigene Naturgesetze zu entwickeln, entsteht eine Bildanatomie parallel zur Anatomie des Modells von faszinierender Offenheit und rudimentärer
Unabgeschlossenheit, die den Betrachter zur Vervollständigung und
Intensivierung seiner Einbildungskräfte zwingt.
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Später wird dieses Ineinander auch in ein
Nebeneinander ausgelegt. Die 'Fünf Akte',1984/85, Kat.-Nr. 22 zeigen
dies deutlich: das Bild hebt mit der klaren, kühlfarbenen
Frontalstellung der Aktfigur links an, die in den folgenden
Schrägwendungen immer mehr in die Grundfläche hineinwächst, um nach
rechts in einer nunmehr den Grund mit einbeziehenden Straffung der
Flächengruppierung zu enden - ein gemaltes Protokoll der
malerisch-formalen Durchdringung eines der gewöhnlichsten Motive, die
es in der herkömmlichen Kunst gibt: ein sitzender Akt, in - einstmals
fünf voneinander isolierten Aktzeichnungen - die nun durch die
Taktstriche von großartigem energetischen Potential, ein Ganzes
ergeben. Im dem Blatt 'Liegende, 3 Variationen; 1987, Kat.-Nr. 24
verstärkt sich der Farb-Form-Gehalt des Grundes, öffnet sich das
Figurale seiner richtungsmäßig expressiv gesteigerten Umgebung, ist
die farblich harmonische Verschmelzung von inkarnatfarbigen Flächenteilen
mit dem durch Grünkreiden aktivierten blau-braunen Untergrundgitter fast vollzogen - da greift der Künstler ein: er reißt
aus dem Papier Teilstücke heraus und betont damit erneut den Prozess
der Bildwertung als etwas, das sich der Nachahmung von Natur als Aufgabe
des Malers vollständig entzogen hat und stattdessen eigene,
leidenschaftliche durchlebte Farb-Welten baut.
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Das läßt schließlich nach der Entwicklung im Werk
des Künstlers fragen. Es will auf den ersten Blick scheinen, als sei
alles aus einem Guß, an eine einzige Grundidee angebunden: Die
Farbanatomie der Natur aufzuspüren. Fritz Straßners Werk besitzt eine
unverwechselbare Bildsprache und Aussagekraft. Doch ist bei
ersichtlicher treue zu sich selbst eine Entwickliung zu reinen
Farbereignissen zu bemerken, gewonnen aus dem nah gesehenen Angebot der
Natur. Einige der jüngsten Bilder, Aquarelle wie 'Eyach I und II',
1989, Kat.-Nr.25/26 gehen in der Intensivierung der Farbe so weit, daß
in ihnen die euklidische Orientierung des Wahrnehmungsraumes, aus dem
auch sie noch kommen, verloren zu sein scheint. Oben und Unten, Himmel
und Erde gelten nun kaum noch etwas gegen die aufleuchtende Farbigkeit
und ihre intensivierte Wirkung im Bildzusammenhang, flächig hingetupft
mit einem großen Aquarellpinsel!
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Doch ist dies Sich-Öffnen zum Neuen dialektisch
angelegt: In den Küstenbildern 'Felsen an der Pointe de Trévignon' und
'St. Guénolé', beide 1990, Kat.-Nr. 28/29 stößt nun gerade der Himmel
hart an einen Horizont, mit dem die Schwere der Felsen und die
filigranigen Spuren des Wassers kämpfen. Wie immer, wenn Künstler sich
in Neuland einarbeiten, geschieht dieses immer in dialektischer
Verschränkung - der Schritt voran ins Unbekannte bedarf der erneuten
Absicherung im bereits Erarbeiteten. Was in Zukunft Schwerpunkt der
Auseinandersetzung mit der Natur werden wird - wir wissen es nicht -
sicher ist nur, daß es Anzeichen einer weiterführenden Wegsuche gibt,
die auf noch vieles Neue hoffen läßt!
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Klaus Kowalski
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